Lotto 1

Werner und Esther sind seit 50 Jahren verheiratet. Sie sitzen jeden Morgen seit 50 Jahren beim Frühstück zusammen und an jedem Freitag fragt Werner Esther: „Hast du den Lottoschein abgegeben?“ Esthers Antwort ist jedes Mal: „Aber natürlich. Gestern Abend. Die üblichen Zahlen.“ Werner verlässt sich auf Esther, der er diese Aufgabe vor vielen Jahrzehnten übertragen hat. Deshalb läuft Esther jeden Donnerstag zum Kiosk, egal bei welchem Wetter, um Werners Wunsch zu erfüllen. Es war egal, ob es ihr gut ging oder nicht. Er erwartete, dass sie es erledigte. Und er war abergläubisch. Sie musste jedes Mal einen neuen Schein ausfüllen.

Auch an diesem Freitag liegt also der ausgefüllte Lottoschein vor Werner. Er blickt darauf und meint erbost: „Du hast die falschen Zahlen angekreuzt.“

Esther blickt über seine Schulter und stellt fest, dass sie tatsächlich drei Zahlen falsch angekreuzt hatte. „Das macht doch nichts. Wir haben seit Jahren kaum etwas gewonnen. Ich denke, uns entgeht nichts.“

„Ganz im Gegenteil, ich bin davon überzeugt und spüre es in den Knochen, dass dieses Mal alle meine Zahlen gezogen werden.

„Werner, schau bitte aus dem Fenster. Ich möchte nicht mehr raus. Das Wetter ist furchtbar.“

„Es ist deine Aufgabe. Kümmere dich um die ordentliche Erledigung.“

Werner war bis zu seiner Pensionierung Buchhalter in derselben Firma gewesen, in der sie als Sekretärin arbeitete. Immer noch war es für ihn selbstverständlich, dass sie die Kleinigkeiten erledigte. Und Esther … für sie war es auch selbstverständlich. Also zieht sie sich nach dem Frühstück warm an und geht los, um den Lottoschein neu auszufüllen 4, 10, 11, 14, 15 und 20 sechs Kreuze und die Superzahl 49.

Sie kommt total durchnässt zu Hause wieder an und bereitet dem bereits wartenden Werner das Mittagessen zu. Am nächsten Abend sitzen sie gemeinsam vor dem Fernseher. Werner hat den Lottoschein vor sich liegen, obwohl er die Zahlen auswendig kennt. Im Falle des großen Gewinnes geht er besser auf Nummer sicher.

Die Ziehung beginnt 10 – 14 – 15 – 20.  

Werner ist ganz aus dem Häuschen: „Siehst du. Heute klappt es, wenn ich dich nicht gebeten hätte, noch einmal zu gehen…“

Gebeten, denkt Esther, während ihre Nase läuft. Aber auch sie findet es mittlerweile spannend.

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Esther blickt auf ihren Lottoschein.

„Mist. Knapp daneben“, schimpft Werner, der nicht mehr daran denkt, dass es einen zweiten Lottoschein gibt.

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Esther wagt es kaum zu atmen. Nur noch eine richtige Zahl fehlt. Die Superzahl stimmt auch überein. Der Jackpot.

„Wieder praktisch nichts gewonnen“, beschwert sich Werner.

Esther kann es kaum glauben. Sie ist sprachlos.

Sie gehen beide schlafen. Esther liegt die halbe Nacht wach. Sie weiß nicht, wie sie Werner die unfassbaren Neuigkeiten mitteilen soll.

Am nächsten Morgen geht Werner in die Kirche. Als er zurückkommt, setzt er sich zu Esther und sagt: „Wir müssen uns unterhalten.“

Sie ist irritiert.

„Esther du hast ja sicher bemerkt, dass es in letzter Zeit nicht mehr gut läuft. Ich hoffe, es trifft dich nicht so sehr, aber ich habe mich in Ruth aus dem Chor verliebt. Ich werde zu ihr ziehen. Du weißt, dass sie allein ist, seit ihr Mann gegangen ist. Schatz“, er tätschelt ihr die Schulter, „es tut mir leid für dich.“ Er packt einen alten Koffer und verlässt das Haus.

Esther sitzt da und ist fassungslos. Da fällt ihr Blick auf den Lottoschein. Ein breites Lächeln zieht über ihr Gesicht.

3 Monate später: Esther hat sich zügig um die Scheidung gekümmert. Doch die Scheidungspapiere wurden zurückgeschickt und liegen jetzt ungeöffnet in ihrer Post „Empfänger verstorben“

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